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Der Sonnenwolf

Der Sonnenwolf - Ausgabe 22

Published over 2 years ago • 5 min read

Zitat der Woche

Keine Zeit haben, das ist die ärmlichste Form der Armut.

-- Friedrich Georg Jünger

Text der Woche - von Johanna Blum

Digitaler Qualm

Besitzen Sie noch ein Notizbuch? Nein, ich meine nicht eine der unzähligen Apps oder Programme, die tausend verschiedene Funktionen haben, um den Vorgang des Schreibens zu erleichtern. Ich meine ein physisches kleines Büchlein, in das man mit einem ebenfalls physischen Stift etwas schreibt. Wenn ja, hoffe ich für Ihren Seelenfrieden, dass Sie es auch regelmäßig benutzen. Wenn nicht, befinden Sie sich höchstwahrscheinlich in guter Gesellschaft mit den meisten, die aus unterschiedlichen Gründen etwas aufschreiben.
Denn das klassische Notizbuch hat ausgedient. Es ist zwar verwunderlich, in welch vielfältiger Ausführung es einem immer noch begegnet, sei es im Schreibwarenladen um die Ecke oder in den großen Onlineversandgeschäften. Sie stehen in großen sich drehenden Verkaufsständern, tragen Bilder aus Harry Potter Filmen oder der modernen Version der Eisprinzessin. Oder ein klassischer schwarzer Einband kleidet sie (aber diese Exemplare fallen niemandem auf).

Nun denn. Ich, als altbackener Nutzer eines jener Notizbücher, wollte mich dem Fortschritt öffnen. Als Schreiberling beginnt man irgendwann, sich auf die Suche zu begeben, wie man den Schreibprozess optimieren könnte. Man kann gar nicht anders, als sich dann dem digitalen Neuland zuzuwenden. Schließlich versendet man seine Texte auf diese Weise an mögliche Interessenten, tauscht sich über das Verfasste aus, und manchmal arbeitet man gemeinsam daran. Und ständig werden einem verführerische Werbevorschläge gemacht. Diese App korrigiert alles, jene transponiert abfotografierte Buchseiten in Word-Dokumente, eine andere übersetzt, nicht zu vergessen die Helferlein, die alle Notizschnipsel ordnen und verwahren und gleichzeitig die Möglichkeit bieten, Diagramme für mögliche PowerPoint Präsentationen einzufügen. Die Welt dieser Applikationen ist unendlich, sie gleicht einem undurchdringlichen Dschungel - und sie ist teuer. Denn natürlich gibt es das, was man Ihnen da als Komfort und Zeitersparnis anbietet, nicht umsonst (ok, ich will nicht ungerecht sein, die Produktion dieser Apps war sicher zeitaufwendig, ich gönne den Entwicklern ihr Einkommen, aber ob es unbedingt mein Geld sein muss…).

Also reservierte ich kürzlich einen freien Vormittag der Recherche und machte mich auf die Suche nach der einen oder anderen digitalen Offerte, die möglicherweise meine zukünftigen Schreibprojekte und deren Organisation auf eine höhere Ebene katapultieren könnte. Vielleicht würde ich ja auf ein preisgünstiges Wunder stoßen, das mich im Nu in den Rang einer neuen Jane Austen katapultiert? Die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt. Der Wecker klingelte brav und pünktlich zum Sonnenaufgang, Kaffe war gekocht, Geräte geladen, los ging es. Ich lud herunter, startete Testabos, probierte aus. Stundenlang. Ich wühlte mich durch Online-Foren, auf der Suche nach den besten Lösungen. Ich quälte mich durch Handbücher, legte Accounts an, verifizierte mich, erlaubte Zugriff, synchronisierte mit der Cloud… Jeder, der eine ungefähre Ahnung davon hat, was Sicherheitsvorkehrungen im Internet bedeuten, hätte vor Verzweiflung die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Vermutlich kennen nun alle Datenkraken alles von mir. Ich nahm es in Kauf. Denn ich hatte schlicht keinen Nerv, mich zusätzlich noch mit irgendwelchen Passwort-Verwaltungs-Apps rumzuschlagen. Mein Gehirn rauchte auch so schon, und nicht nur das. Das Ladegerät wurde verdächtig heiß, meine Augen glühten, und ich möchte fast beschwören, dass da irgendetwas Qualmendes und nach Verbranntem Riechendes aus meinen Ohren quoll…

…Plötzlich spürte ich die Schnauze meines Hundes am Knie. Ich blickte auf ihn herab und erschrak zutiefst. Die Uhr zeigte den frühen Abend an. Ich hatte nicht einmal aufgeblickt, der Kaffe war kalt geworden, und mein Magen grummelte unheilvoll. Zum Glück hatte der Vierbeiner bis jetzt geschlafen, nachdem wir am Tag zuvor stundenlang über die irischen Berge in der Nachbarschaft geklettert waren…
Ich warf einen letzten Blick auf die technischen Geräte vor mir, und ich konnte es nicht fassen. Ich hatte nichts erreicht, war keinen Schritt weiter, und genau genommen ließ sich nur ein Fazit ziehen: Ich war der Moderne auf den Leim gegangen. Am Ende des Tages ist es ein riesiger Betrug. Jeder will nur dein Geld oder deine Daten. Das Selbstdenken nimmt dir dabei niemand ab, weder das, worüber und wie du denkst, noch die Art und Weise der Organisation desselben. Und nicht nur, dass dir keine Hilfe geboten wird und du schamlos ausgebeutet wirst. Schlimmer noch, die eigenen Gedanken werden in Formen und Worte gepresst, die dem Algorithmus der jeweiligen App gefallen. Kreativität Fehlanzeige, jedenfalls was die eigene angeht. Kein Wunder, dass vieles von dem, was man heute online liest, nach dem gleichen Muster klingt, entspringt es doch nicht mehr dem Geist des Autors sondern dem Baukastensystem eines digitalen Programms.
Ich schnappe mir den Hund, und wir machen uns auf, die Felder und Wiesen nach Mäusen zu durchforsten. Nach all den vielen Jahren, in denen wir das tagein tagaus getan haben, ist es immer noch eine Freude und ein Faszinosum, den kleinen Kerl dabei zu beobachten, wie er mit mir nach wie vor unerklärlicher Präzision auf diesen riesigen unbebauten Flächen, die nicht selten von kniehohem Gras bedeckt sind, an hunderten Metern entfernten Stellen die Mäuse aufspürt. Rauf aufs Feld, Pfeil rein, Aufgabe erledigt. Keine Zeitverschwendung, kein falsches Abbiegen, keine Ablenkung. Ich stapfe hinterher, lobe ihn, während er, ich gebe es zu, es ist ein etwas befremdliches Verhalten, stolz auf sein Opfer pinkelt, sich darin wälzt, mich fest im Blick, damit mir auch ja keines seiner zelebrierten Rituale entgeht.
Der Hund tut, was er tun muss. Er braucht dafür nichts als ein bisschen Futter, ein warmes Bett und einen Menschen, der ihn in seinem Vorhaben unterstützt. Alles andere ist überflüssiger Schnickschnack. Jedes Extra, sei es die mit Straßsteinen besetze Leine oder das hundertfünfzigste Spielzeug. Es ist überflüssig und rausgeschmissenes Geld, um das menschliche Gewissen zu beruhigen, weil man entweder den anderen Hundebesitzern im Stadtpark nicht das Gefühl geben möchte, man vernachlässige das Haustier, oder weil man zu fein ist, einen auf diese Art verschmutzten Hund im Haus zu dulden. Oder, und das ist eigentlich das schlimmste, weil man zu faul ist, das Tier Tier sein zu lassen. (Es ist anstrengend, die täglichen Spaziergänge bei Wind und Wetter zu absolvieren, da ist es schon deutlich bequemer, ihm ein Quietscheentchen vor die Pfoten zu werfen…)

Eigentlich ist das, was ich heute den ganzen Tag getan habe, nichts anderes: Ich habe versucht, technische Helferlein zu finden, die mir das Schreiben erleichtern. Ich hätte es besser wissen müssen, denn genauso, wie es den Hund auf Dauer krank macht, wenn er seinem Instinkt nicht folgen kann, gibt es auch für den Schriftsteller keine Abkürzungen. Schreiben ist harte Arbeit, Denken strengt an, aber das Werkzeug dafür ist dann am besten, wenn es das tut, was es tun soll: Worte zu Papier bringen. Darum kann mich die zu falscher Vereinfachung des Verfassens eines Schriftwerkes verleitende digitale Traumwelt auch in Zukunft kreuzweise, und sollte ich, was mit ziemlicher Sicherheit passieren wird, demnächst wieder einmal auf eine dieser komischen Werbungen stoßen, denke ich einfach bei mir: „Sollen doch alle anderen glücklich werden damit.“ Mein Werkzeug wird sich weiterhin auf mein Notizbuch, ein bewährtes Textprogramm und die gute alte Email beschränken. Mag sein, dass mein Geschreibsel dadurch fehlerhaft bleibt und gegebenenfalls nie aus seinen Kinderschuhen herauswächst, aber wenigstens weiß ich, dass es von mir stammt und es an mir liegt, nicht an fremd bestimmendem Hokuspokus, mich und es zu verbessern. Auf in den Kampf!

-- Johanna Blum

Eine Frage für deine Selbstentwicklung

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Bis nächste Woche!
Solare Grüße
Max

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